Kurzgeschichte aus dem Band L’air de rien von Hélène Dormond.
Aus dem Französischen von Maguelone Wullschleger
Weitere Werke der Autorin:
Liberté conditionnelle : https://pdl.testpreprod.ch/produit/liberte-conditionnelle
BEWERBUNGSFRAGE
Mein schönes Selbstvertrauen ja nicht verlieren. Einen ganzen Monat Arbeitslosengeld habe ich geopfert, um mir fünf Stunden mit meinem Coach Jules-Simon Seligmann zu leisten. Eine Investition, die es in der kommenden Stunde wettzumachen gilt. Dieser Job ist für mich geschaffen! Lass nur positive Gedanken zu, glaub an dich, Monique, das ist der Schlüssel zum Erfolg! Du hast es bereits bis zum Bewerbungsgespräch geschafft, an deinem Lebenslauf ist nichts auszusetzen, diesmal gelingt der Treffer.
Und wie er mich hat schuften lassen, dieser Jules-Simon! Gefilmte Rollenspiele, Fangfragen, verschiedenste Versuche mich aus der Bahn zu werfen, wir haben alle Fallstricke, in die ich tappen könnte, gesichert. Nichts wurde dem Zufall überlassen, ich kenne meinen Part auswendig.
Erstens: Dresscode einhalten. Die Bluse ist ok. Schick und locker zugleich, hübsches Dekolleté, aber nicht zu tief ausgeschnitten, falls es sich beim Personalverantwortlichen um eine Personalverantwortliche handelt. Man will ja keine Eifersucht wecken. Gleiches gilt für die Schuhe: Absätze um die Beine vorteilhaft zu formen, aber nicht zu hohe für den Fall, dass der künftige Chef Vorfahren unter den Pygmäen hat. Klar, dass mir der Ausblick auf die beginnende Glatze des grossen Manitou meinen Posten kosten könnte.
In Sachen Termin hab’ ich alles richtig gemacht. Eine Stunde Puffer einberechnet um nicht zu spät, zerzaust und verschwitzt einzutreffen. Ich verschanze mich im Café dem Firmensitz gegenüber. Mitten unter belästigenden Kaffeeausdünstungen lese ich die Fragen und vor allem die Antworten, die ich mit Jules-Simon vorbereitet habe, noch einmal durch.
Achtung, noch drei Minuten bis zur alles entscheidenden Stunde, es ist Zeit, mich am Empfang zu melden.
– Guten Tag, Monique Jordan, ich habe einen Termin für die Projektleiterstelle.
Die junge Dame schiebt ein paar Blätter hin und her, dann hebt sie endlich den Kopf und wirft mir einen Kobrablick, den ich mit meinem glattesten Lächeln erwidere.
– Nehmen Sie bitte im Warteraum Platz.
Genau, spiel dich bloss auf, Anfang April könnte ich deine Vorgesetzte sein.
Der Warteraum ist mit elfenbeinfarbenen Sesseln ausgestattet. Üppige Grünpflanzen, ein Brunnen, der diskret auf eine Granitkugel spuckt, ein Spiegel. Ich verkneife es mir, mein Bild darin zu überprüfen. Für den Fall, dass es sich um einen Einwegspiegel handelt. Vielleicht analysieren die Personalverantwortlichen hinter der Scheibe mein Verhalten und meine Bewegungen. Es wäre ungeschickt, ihnen beim Auftragen einer frischen Schicht Mascara eine Grimasse zu bieten. Ich bin unfähig, mir die Augen zu schminken, ohne den Mund zu öffnen. Es ist allerdings völlig unnötig, ihnen meine Schwächen zu offenbaren.
Ich nehme mir eine Zeitschrift und blättere darin mit lockerer Miene. Ich wische mir die schwitzenden Finger an den makellosen Models ab.
Schon ganze fünfzehn Minuten sitze ich hier. Puls bei 95, Blutdruck bei 140 auf 90, atmen, Monique. Nichts kann dich unvorbereitet treffen, Jules-Simon ist der Beste.
Du wirst ihnen deine drei grössten Stärken nennen: dynamisch, teambildend, kreativ. Deine Schwächen, die keine wirklichen Schwächen sind: authentisch, extrem durchhaltend, leicht autoritativ. Du wirst ihnen das typische Bild des charismatischen Leaders präsentieren, den sie suchen.
Nahende Schritte. Ich setze mir eine gewinnende Miene auf.
Der eintretende Mann ist eher klein (Volltreffer, die Miniabsätze), braunes Haar, Null-acht-fünfzehn-Typ.
– Guten Tag, Alban Blanchod, Vertriebsleiter von Merinas. Entschuldigen Sie die Verspätung.
– Aber bitte… Sehr erfreut.
– Bitte folgen Sie mir.
Er führt mich in einen grossen Konferenzsaal. Ein grosser Tisch, dahinter drei Jurymitglieder in einer Reihe. Zwei Frauen, ein Mann. Der Vertriebsleiter setzt sich zu ihnen und weist mir einen Stuhl.
– Machen Sie’s sich gemütlich, wir werden uns ganz ungezwungen unterhalten. Was kann ich Ihnen anbieten, Tee oder Kaffee?
Ich schwanke unter dem ersten Streich. Vermutlich keine unschuldige Frage. Was soll ich darauf antworten? Jules-Simon hat nie angedeutet, dass man in die Lage kommen könnte, eine solche Wahl treffen zu müssen. Und das beim Preis, den ich für ihn bezahlt habe! Auf Anhieb werde ich auf dem falschen Fuss erwischt.
Ich lächle, nehme mir Zeit, mich auf dem Stuhl niederzulassen, den sie mir gewiesen haben. Wie ein Schwan nehme ich oberflächlich eine ruhige Haltung an, während unter Wasser meine Turbinen Vollgas geben. Fassen wir das Dilemma zusammen.
Womit verbinde ich Kaffee? Mit Herzrasen, saurem Aufstossen, kaltem Schweiss… Was den Tee anbelangt, so weckt er bei mir Übelkeit, Hitzewallungen und Verspannung der Geschmacksnerven. Das eine oder das andere zu trinken bedeutet, mich auf die Matte zu schicken noch ehe das Gespräch begonnen hat. Das Angebot auszuschlagen wäre höchst unhöflich. Und ist ganz undenkbar, falls sich dahinter eine Absicht verbirgt. Ein erster Test, um abzuklären, ob die Kandidatin fähig ist, Entscheide zu treffen. Und vor allem, welche. Dies sind wohl die neuesten Methoden um die Persönlichkeit der künftigen Angestellten zu ermitteln. Jules-Simon ist nicht mehr à jour. Ich blicke verstohlen auf den Tisch. Kein Hinweis, nicht die geringste Tasse vor den Direktionsmitgliedern. Ich muss Zeit gewinnen.
– Danke, das ist sehr nett von Ihnen.
Die Hypothesen drängen sich in meinem Kopf. Für einen Führungsposten wäre Kaffee wohl angebrachter. Die Symbolik ist dynamischer, männlicher als jene der Tasse Tee, worin die alten Damen ihre Kekse tunken um sie aufzuweichen. Aber der kräftige, unausgegorene, zu radikale Charakter des Arabica könnte einen überkommenen Management-Stil ankündigen. Entscheide ich mich für Kaffee, stehe ich zudem erst am Anfang einer Reihe von Wahlmöglichkeiten. Ich werde mich in den unzähligen Varianten, die der schöne George anbietet, verlieren. Eine Kapsel zufällig auswählen. Einen Charakterzug offenbaren, der dem Posten nicht entspricht und – das wäre ja wohl die Höhe! – noch weniger meiner wahren Natur.
Was den Tee betrifft, so hat er mit der Mode des Grüntees Aufschwung erhalten; als typisches Getränk der sportlichen, gesunden und trendigen Person. Aber dennoch nicht mehrheitsfähig. Ich fasse die Hypothese, dass die mir gegenüber sitzenden Männer Kaffee vorziehen. Von den beiden Frauen würde wahrscheinlich nur eine Tee wählen.
Ich schlucke. Vier Personen warten auf meinen Entscheid. Keine Zeit, länger nachzudenken, ich entschliesse mich für Ehrlichkeit:
– Ich hätte lieber ein Glas Wasser, ich trinke niemals warm.
Die Gesichter mir gegenüber erstarren. Ungläubige Ausdrücke, gehobene Augenbrauen.
So. Das war’s. Ich kann wieder gehen, ohne mich vorgestellt zu haben. Nachdem ich mein Bewerbungsgespräch mit der Weigerung sabotiert habe, mich dem Stil der Firma anzupassen und bei ihren Anstellungstricks mitzuspielen. Schon bin ich im Begriff aufzustehen, als die HR-Verantwortliche eingreift.
– Wirklich, Sie trinken nie warme Getränke?
Ich nicke mit entschuldigender Miene.
– Das ist interessant. Die Tatsache, dass wir Warmes trinken hilft uns, unsere Energie zu bündeln. Wenn Sie dieses Bedürfnis nicht verspüren, sind Sie vermutlich auf natürliche Weise sehr zentriert. Man errät dies übrigens auch an Ihrer gelassenen Art.
– Ja, genau so ist es… Wollen wir gleich mit meinen übrigen Hauptstärken fortfahren?